Joachim Ringelnatz - Lyriker und Kabarettist

„Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt.“ Dieses Zitat stammt von
Joachim Ringelnatz, der nicht nur für sein besonderes Pseudonym, sondern auch für seine humoristischen Gedichte bekannt war. Geboren wurde er unter dem Namen Hans Gustav Bötticher am 7. August 1883 in Wurzen und starb am 17. November 1934 in Berlin. Wir wollten mehr über den Lyriker wissen und haben Helga Bemmann interviewt, die über das Leben und die Werke des Dichters schon mehrere Bücher geschrieben hat.

Wieso entschloss sich Ringelnatz unter einem Pseudonym zu veröffentlichen?
Helga Bemmann: Fest steht soviel, dass das Pseudonym Ringelnatz eine Erfindung von ihm selber war. Ein Produkt seiner überreichen spielerischen Phantasie und seiner Freude an skurrilen poetischen Namenserfindungen für die Menschen,die um ihn waren, die er besonders mochte, mit denen er ein Stück seines Lebens gegangen ist. Eine besondere Form der Huldigung, der Zuneigung. Er erfand nicht nur sich als Ringelnatz, auch andere Menschen bekamen von ihm einen privaten Sondernamen. 
Das Pseudonym hat schon vor 1920 bestanden, war aber noch nicht für eine Buchveröffentlichung verwendet gewesen. Die Turngedichte waren fertig und er war unschlüssig, ob er unter Bötticher oder unter Ringelnatz firmieren sollte. Bötticher war als Verfassername vorher günstig gewesen, da sein Vater in der Literaturwelt noch präsent war. Die nach dem ersten Weltkrieg neu entstandenen Poeme hatten aber in Sprache und Stil und vom Thema her überhaupt nichts mehr vom Bötticher-Stil an sich. Hier war ein völlig neuer Ton, ein originelles Ereignis der Literaturgeschichte, der den alten Familiennamen nicht mehr opportun erschienen ließ. Das war alles vorgestern. So etwas Neues wie die Turnerei und Kuttelei brauchte auch einen neuen Auftritt. Eine dazu passende, das heißt originelle Verfasserperson.

Hat der Name Joachim Ringelnatz eine tiefere Bedeutung?
Helga Bemmann: Irgendwelche besondere, tiefere Bedeutung hat das Pseudonym, wie er selber sagt, nicht. Es ist ihm so eingefallen. In einer Sternstunde. Man kann selbstverständlich Deutungen vornehmen – das ist der Job der Wissenschaft, ihr legitimes Recht – von den Erklärungen liegen ja manche auch nahe. Nur erklären oder "entschlüsseln" lassen sich solche Dinge der Intuition, des genialen Einfalls, letzten Endes nicht. Es bleibt die Erkenntnis, dass er für sich und seine ganz eigenen, geringelten Poesien das genau passende, nur für ihn zutreffende Pseudonym gefunden hat. Könnte jemals jemand für ihn ein besseres erfinden?

Wie bekannt ist Ringelnatz noch in der heutigen Zeit?
Helga Bemmann: Ringelnatz ist bis heute bei Freunden und Kennern der deutschen Literatur unverändert der, der er immer war. Parodie, Satire, Groteske und Humor, elementare Eigenschaften der Volksdichtung, haben keinen Verfallstermin. Dass so viele Verlage mit dem Wegfall der urheberrechtlichen Schutzfrist, das heißt mit dem Wegfall von Zahlungsverpflichtungen, Ringelnatz ins Programm genommen haben, kann doch nur für die Beliebtheit, die Volkstümlichkeit und Wirksamkeit von Joachim Ringelnatz sprechen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass unter den Schülern in Wurzen, als ich vor Jahren dort einmal zur Lesung war, auf meine Frage hin kein einziger Schüler ein Gedicht von Ringelnatz auswendig wusste. Für die anwesenden Lehrer war es eine peinliche Situation. Sie haben sich geschämt und mir das hinterher auch ehrlich gesagt.

Ringelnatz wurde während seiner Schulzeit und auch noch später im Leben wegen seines Aussehens gehänselt. Hatte dies Auswirkungen auf sein lyrisches Schaffen?
Helga Bemmann: Die Reduktion des Werkes auf das Problem mit der Nase – das ist die ästhetisch psychologische Ausgangsposition des Germanisten-Professors Walter Pape. Wir anderen, die sich auch mit Werk und Person von Ringelnatz beschäftigt haben, teilen diese Position nicht. Das heißt nun nicht, dass der markante Kopf und die Form der Nase ganz ohne Belang für ihn gewesen wären. Aber so, wie er deswegen gehänselt wurde, bis in seine Seefahrerjahre hinein, werden oder wurden ja auch Kinder schon mit Auffälligkeiten bzw. Besonderheiten der Physiognomie ins Spottvisier genommen. Das von der Norm Abweichende ist immer ein geeignetes Objekt dazu. Und er war eben auch Objekt. Kunst ist oder wurde es deswegen nicht. Ich habe eine von ihm unterzeichnete Quittung im Original über ein Millionenhonorar, eine Zahlung der "Wilden Bühne" an ihn zur Inflationszeit, auf der er neben seiner Unterschrift ein Kopfporträt von sich hinmalt mit einer übertrieben langen Nase. Auch hat er sich ja einmal auch als "Nasenkönig" bezeichnet. Ich denke, er nahm´s gelassen. Dass es für das Werk, so wie es in Lyrik und Prosa vorliegt, eine auffällige Bedeutung gehabt haben soll – das glaube ich persönlich nicht.

Liebte es Ringelnatz aus der Reihe zu tanzen? Er hatte ja den Schalk im Nacken und machte gerne seine Späße.
Helga Bemmann: Ja, Ringelnatz ist nur aus der Reihe getanzt, wenn und wo er es konnte. Es war sein Element, sein Lebensspaß, seine Kind gebliebene Seele und die Freude an Schabernack. Auch an mitunter hanebüchenem Unsinn und Verwirrsinn. Er hat das gewollt. Er hat das gebraucht. Es war ein Stück von ihm. Und vielleicht konnte er gerade deshalb das Traurige des Lebens, die Verlorenheit und die tiefe Vereinsamung menschlicher Existenz so mit- und nachempfinden und in seinen schönen, ernsten Gedichten wie auch in seiner Malerei in Verse bringen. Diesen Ton kann man in dieser subtilen Einfühlung, der leisen Trauer und dem gütigen Trost bei keinem der zeitgenössischen Dichterkollegen in dieser Form finden. Nicht bei Tucholsky. Nicht bei Kästner. Nicht bei Mehring. Bei keinem. Diese Schriftsteller haben alle ihre eigenen Qualitäten. Sie werden auf andere Weise geliebt. Aber nicht so wie Ringelnatz.