Das Christian-Morgenstern-Museum

Literatur auf dem Galgenberg

Text von Jürgen Raßbach

Das Havelstädtchen Werder ist berühmt für sein Blütenfest; es kann sich aber auch seit 2014 mit einem Literaturmuseum für Christian Morgenstern schmücken. Der durch seine Galgenlieder berühmt gewordene Dichter hat allerdings nur einen einzigen Tag in Werder verbracht, in Gesellschaft eines „lustigen Kreises“,
der sich, höchstwahrscheinlich am 5. Mai 1895, also zur Blütenfestzeit, auf dem Galgenberg aufgehalten hat.
Der legendäre Obstwein hat das aus Berlin angereiste Sextett zu mancherlei für die Einheimischen befremdlichen Ulk angeregt, so auch zur Gründung des sogenannten „Bundes der Galgenbrüder“, jener legendären Künstlergruppe, die sich zwei Jahre lang an jedem Donnerstag im Hinterzimmer einer Kneipe traf. Für diese acht phantasiebegabten und kunstbesessenen „Bohemians“ hat Christian Morgenstern die ersten Galgenlieder geschrieben. Sie wurden allesamt gesungen und im Rahmen eines hintersinnigen Rituals, eine Hinrichtung nachahmend, regelrecht aufgeführt. Dass Morgenstern (er trug den Bundesnamen „Rabenaas“) damals bereits unheilbar an Tuberkulose erkrankt war, verleiht diesen absonderlichen, aber künstlerisch hochwertigen Gesängen eine verborgen-tragische Note. Obwohl die Galgenbrüdergemeinschaft sich bereits nach zwei Jahren auflöste, hat Morgenstern die „Produktion“ dieser humoristischen Gedichte nicht eingestellt; sie veränderten allerdings, nachdem sie ihre Adressaten verloren hatten, ihre Thematik und ihre inhaltliche Ausrichtung und wurden, über die Jahre, zu dem, was ihren Autor berühmt machte. Wer kennt nicht den „Lattenzaun“, das „Nasobem“ oder das „Möwenlied“, das mit diesem frappierenden Vers beginnt, den man nicht mehr vergisst: „Die Möwen sehen alle aus, als ob sie Emma hießen ...“?

Die Galgenpoesie hat Morgenstern berühmt gemacht, der darin waltende Humor ist, innerhalb Deutschlands zumindest, einzigartig geblieben. Seine tiefe Menschlichkeit „trägt kein Gift“, sie will, nach eigener Aussage, die „im Posthorn gefrorene Musik der Seele ein wenig aufheitern.“ Die Hauptsache waren ihm diese humorvollen Gedichte nicht; sein ernstes lyrisches Werk (Natur, Liebes- und Weltanschauungsdichtung) war weit umfangreicher, aber auch weit weniger erfolgreich. Viele seiner Aphorismen haben den Weg in Kalender gefunden; auch seine Gedichte für Kinder (z. B. „Die drei Spatzen“) wurden außerordentlich beliebt. In Margareta Gosebruch begegnete Morgenstern spät die Liebe seines Lebens. Mit ihr gemeinsam fand er den „Pfad“ der Anthroposophie, jener von Rudolf Steiner begründeten Geisteswissenschaft, die seinem Erkenntniswillen entsprach.

Das Christian-Morgenstern-Literaturmuseum versteht sich als Angebot, sich mit Leben und Werk dieses großen Dichters, Denkers und Mystikers bekannt zu machen und so die Bereitschaft für eine tiefere Auseinandersetzung zu schaffen. Auf Schautafeln und in Vitrinen können sich Besucherinnen und Besucher über die einzelnen Lebensstationen informieren; alle erreichbaren Bucheditionen sind zu besichtigen, dazu Fotos, wichtige Dokumente, aber auch Werke bildender Künstler, Buchillustrationen und Plastiken. Eine eigene Veranstaltungsreihe, der „Treffpunkt Galgenberg“, gibt Sprachkünstlern, Musikern und Wissenschaftlern Gelegenheit, Morgensterns vielgestaltiges Werk darzustellen. Seine Existenz verdankt das Museum übrigens größtenteils der bewundernswerten Initiative Achim Rischs, der es sozusagen aus dem Nichts heraus geschaffen hat, gab es doch in Werder eigentlich keine Erinnerung an Christian Morgenstern. Der 2004 bereits über siebzig Jahre alte Risch begann als Chronist des zur Rettung der ruinösen ehemaligen Höhengaststätte „Bismarckhöhe“ gegründeten Freundeskreises und entwickelte im Laufe der Jahre für die, ihm eher beiläufig zugefallene Aufgabe, nach Spuren Morgensterns auf dem Galgenberg, dem Standort der Bismarckhöhe, zu suchen, eine regelrechte Leidenschaft. Schon 2007 konnte eine eindrucksvolle, wenn auch räumlich bald zu kleine Dauerausstellung eröffnet werden, aus der dann, sieben Jahre später (Anlass war der 100. Todestag des Dichters), das jetzige Christian-Morgenstern-Literatur-Museum hervorging. Inzwischen verfügt es auch über einen eigenen Saal, der die Ausrichtung kultureller Veranstaltungen und die Präsentation von Ausstellungen ermöglicht.

Die 2018 gegründete Christian-Morgenstern-Gesellschaft e. V. will zur weiteren Verbreitung der Werke des Dichters beitragen und die wissenschaftliche Erforschung intensivieren. Sie plant den Aufbau einer wissenschaftlichen Bibliothek und will eine Wanderausstellung entwickeln, die es ermöglicht, das Werk Morgensterns auch an den Orten in Europa zu präsentieren, die mit seinem Leben verbunden waren (z. B. Birkenwerder, Sorau und Breslau, Meran, Arosa und vielleicht sogar Oslo). Sie gibt ein jährlich erscheinendes Periodikum heraus, die „Korfschen Nachrichten“, dessen erste Nummer im Rahmen eines Kulturtages kürzlich erschie- nen ist. Museum und Morgensterngesellschaft bereiten für Mai 2021 zum 150. Geburtstag des Dichters eine zweitägige Veranstaltung vor; geplant ist die Präsentation einer Ausstellung mit Scherenschnitten Morgensterns, eine wissenschaftliche Konferenz und ein Festakt, der mit einer Theateraufführung „Abendstunde mit Morgenstern“ ausklingt.

Die musealen Einrichtungen im Aussichts- und Museumsturm (er beherbergt auch eine Galerie und ein historisches Zimmer) sind in den Wintermonaten geschlossen. Führungen können jedoch telefonisch (Tel. 033 27.716 53) oder per Email (jrassbach(at)online(dot)de) gebucht werden.