Komische Lyrik

Komische Lyrik: Das vergessene Stiefkind der Lyrik?

Komische Gedichte haben es nicht leicht innerhalb der als eher ernsthaft geltenden Gattung der Lyrik. Sie werden nur allzu oft in einen Topf mit stumpfer Geburstags- und Stammtisch-Poesie à la „Heute wirst du 70 Jahr’, dein Haar ist jedoch nicht mehr da“ geworfen und daher schnell als minderwertig abgestempelt. Auch in der Forschungsliteratur wird das Subgenre kaum behandelt. Der Degradierung der Komischen Lyrik wirkt der inzwischen emeritierte Tübinger Professor Kemper entgegen. Er tritt auf literaturwissenschaftlicher Ebene den Beweis an, dass sich Lyrik und Komik nicht per se ausschließen.

Bevor die Fakten auf den Tisch kommen, soll dem Begriff der Komischen Lyrik auf den Grund gegangen werden. Doch so leicht ist das gar nicht. Schlägt man diesen Begriff im Metzler Lexikon der Literatur nach, so findet man diesen schlichtweg nicht. Komisch – hat nicht auch das Drama seine Komödie und die Epik ihren komischen Roman als Untergattung? Im Gegensatz zu den anderen beiden Großgattungen hat sich in der Lyrik, die sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts zu einer eigenen Großgattung entwickelte, kein komisches Genre durchgesetzt. In der formstrengsten aller Gattungen, zeigt sich lyrische Komik meist in Form von überraschenden Verbiegungen oder Übertreibungen. Aus handwerklicher Sicht ist die stiefmütterliche Behandlung der Komischen Lyrik aufgrund ihrer anspruchsvollen, sprachkünstlerischen Elemente jedenfalls nicht gerechtfertigt, da dies viel Geschick verlangt. 

Jedoch eignet sich auch ein formaler Lyrikbegriff für die Bestimmung lyrischer Komik. Denn auch der unregulierte Vers grenzt die Lyrik von der Alltagssprache ab. Darüber hinaus bestimmt insbesondere die Form, die „durch ästhetische Zusatzstrukturen konstitutiv überstrukturierte lyrische Rede“ und erweist sich als eigenständiges Merkmal gegenüber Komödie und Roman. Immer vor dem Hintergrund der Gattungsvorgaben (Gedicht-, Vers-, Reim-, Strophenarten, Länge/ Kürze, Leitmotivik, Zyklusbildung) sowie als Inbegriff aller sprachlichen, strukturellen und ästhetischen Verdichtungen (Lamping 2000, S.179). 

Lyrik ist demnach formdominant verdichtete Versrede. Lyrische Komik entsteht somit in erster Linie durch willkürliches oder eben unwillkürliches Versformen bzw. Biegen von formdominant verdichteten Merkmalen der Versrede in verschiedenen, von den Komiktheorien angedeuteten Funktionen, so Professor Kemper (Kemper 2009, S.40 ff.). Komische Lyrik übertreibt, dehnt oder verzerrt also etablierte Formen, anstatt diese Formen zu negieren oder durch radikale Innovation zu brechen.

 

"Komik entsteht immer aus dem Ernst"

Dieser Satz entstammt dem Witzemeister schlechthin, Loriot, und lässt sich auch auf das Verhältnis von Lyrik und Komik übertragen. Denn "erst wenn Gott die Welt und ihre Ordnung geschaffen hat, kommt auch der Teufel als destruktive Kippfigur auf die Welt, erst wenn der Ernst etabliert ist, kann die Komik als Zerrspiegel dienen" (Kemper 2009, S.8). Klar - wenn es den Ernst nicht gebe, wozu bräuchte man die Komik? 

Kemper katalogisiert in seiner Arbeit zur Lyrischen Komik bzw. Komischen Lyrik vor allem die Schreibweisen absichtlich komischer Lyrik, die im Gegensatz zur reinen Unsinnpoesie stehen. Zur absichtlich komischen Lyrik gehört beispielsweise die satirische Komik. Hierbei biegen Satiren wie etwa auf den Krieg oder die Medizin, die durch ernste Thematik ausgelösten Emotionen und verbinden sie mit kritischen Einsichten. Dass hinter der lustigen Fassade komischer Gedichte Ernsthaftigkeit steckt, beweisen auch die berühmten Moralgedichte Wilhelm Buschs, die sich u.a. dank Eugen Roth im 20. Jahrhundert als feste Größe innerhalb der Lyrik etablierten. Den Moralgedichten gehen in den beiden vorherigen Jahrhunderten die Trink- und Tabakpoesie sowie die im 18. Jahrhundert aufkeimende Anakreontik, die sich vor allem der Heiterkeit verpflichtet sieht, voraus. Eine weitere Kategorie innerhalb der Komischen Lyrik bilden Paraodien, die wiederum in ernste und scherzende Parodien sowie Autor-, Stil-, Einzeltext-, Thementyp-Parodien und schließlich Dialekt-, Strophen-, Gattungs- und Mehrfach-Parodien eingeteilt werden (vgl. Kemper 2009, S.120 ff.). Ein Beispiel für eine Themenparodie findet sich im folgenden Beispiel, das zunächst an Heinrich Heines berühmtes Loreleylied erinnert. Christoph Meckel verwendet in seinem komischen Gedicht "Ohrenklingen" zwar Heines Eingangszeile (Ich weiß nicht, was soll es bedeuten), was zunächst eine Autorenparodie vermuten lässt, doch handelt es sich in der thematischen Verarbeitung weniger um eine Imitation Heines Stils, sondern - wie bereits der Titel verdeutlicht – um die wiederholt erfolgende reflexive, Einstimmung verhindernde Parodie eines Lyriktyps, der nur inhalts- und grundlose, aber klangvolle Stimmung erzeugt. Diese wird durch volkstümliche, nichtssagende Redewendungen wie lirum larum unterstützt, die wiederum selbst vokalisch durchkonjungiert werden:

Ich weiß nicht, weiß nicht,
was soll es bedeuten,
lirum larum – rufe es hierum,
hörte es läuten, sag es darum.
Lirum, larum,
buchstabier mir
das Abc,
hierum darum
weiß ich nicht, wierum
laufen die Füße
im Schnee.
Ich weiß nicht,
weiß nich,
was soll es bedeuten:
Schnee, wo ich geh,
lirum, lorum
warum darum
hörte es läuten, weiß nicht, worum
dreht sich das Abc.
Ich weiß nicht, weiß nicht
Was soll es bedeuten,
lirum larum – rufe es hierum
hörte es läuten, sag es darum.

Mehr komische Lyrik 

Testen Sie ihr neu erworbenes Wissen doch anhand unserer Sammlung komischer Gedichte. Können Sie unseren Beispiel-Gedichten die einzelnen Typen der Komischen Lyrik (Parodie, Satire, Moral etc.) zuordnen? Probieren Sie es doch gleich aus!