Fehlendes Glück

Reifes Glück

 

Meine Blütenjahre sind

ungenutzt dahingeflossen;

denn das Glück hielt seine Pforten

neidisch vor mir zugeschlossen.

Lachend schaut es durch den Spalt,

nun des Sommers Rosen starben –

und von seinem Erntefelde

beut es mir die reifen Garben.

 

Clara Müller-Jahnke (1860 – 1905)

 

 

Sicherheit im Glück

 

Sag' einem, der erfreut dem Glück im Schooße lieget,

Daß dessen Stille stets die Sicherheit betrüget,

Daß es uns, ehe wir es recht erkannt, verläßt;

Er höret dich nicht mehr, denn junge Hochzeitgäst'

Den Wächter, der des Nachts die Stunden rufet, hören;

Er spottet deiner Gunst und lachet deiner Lehren,

Und alle deine Wort' entführt der schnelle Wind.

Ein Glücklicher ist taub, sowie das Glück ist blind.

 

Christian Wernike (1661 – 1725)

 

 

Glück und Unglück

 

O, daß der Freude lichter Born,

Einmal getrübt, so leicht versiegt,

Und unser Glück und unsre Lust

Spurlos wie Schaum im Wind verfliegt!

Indes von jedem Unglück doch

Ein Stachel tief im Herzen bleibt

Und unauslöschbar seine Schrift

Der Schmerz in Stirn und Wangen schreibt!

 

Ernst Scherenberg (1839 - 1905)

 

 

Ohne Titel

 

Mir ist's zu wohl ergangen,

Drum ging's auch bald zu End',

Jetzt bleichen meine Wangen,

Das Blatt hat sich gewend't.

Die Blumen sind erfroren,

Erfroren Veil und Klee,

Ich hab' mein Lieb' verloren,

Muß wandern tief im Schnee.

Das Glück läßt sich nicht jagen

Von jedem Jägerlein,

Mit Wagen und Entsagen

Muß drum gestritten sein.

 

Joseph Victor von Scheffel (1826 - 1886)

 

 

Ohne Titel

 

Rennt dem scheuen Glücke nach!

Freunde, rennt euch alt und schwach!

Ich nehm teil an eurer Müh:

Die Natur gebietet sie.

Ich, damit ich auch was tu, –

Seh euch in dem Lehnstuhl zu.

 

Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781)