Chinesische Liebeslyrik

Exzellente Schreib- und Lesefähigkeiten sowie der geschickliche Umgang mit der Sprache ermöglichten oft einen hohen Beamtenstatus in China, der äußerst angesehen in der Gesellschaft war. Da Dichter somit meistens im Dienste des Staates waren, waren die Werke eher politisch und gesellschaftlich geprägt. Die Liebe war nur eher selten das Thema.

Aber hin und wieder fand sie doch ihren Weg in die chinesische Lyrik: Die Palastlyrik bezeichnete Gedichte, in denen eine Dame aus dem Palast oder eine Konkubine über irgendetwas klagte. Die verlorene Liebe, das Alter, Einsamkeit und vieles mehr. Auch wenn die Gedichte das Leid der Frau behandelten, wurden diese Gedichte hauptsächlich von Männern geschrieben.

Die chinesische Literatur beeinflusste nicht nur selbst viele Länder, wie Korea, Japan und Vietnam, sondern erhielt auch Einfluss aus anderen Ländern. Der Grund hierfür lag hauptsächlich darin, dass viele chinesische Dichter außerhalb Chinas geboren wurden, wie zum Beispiel der bedeutende Dichter Li Bai (701-762), in Europa auch unter dem Namen Li Tai Po bekannt. Li Tai Po hat bis heute in China den Ruf eines "Heiligen in der Dichtung" und wurde bereits zu Lebzeiten als lyrisches Genie angesehen. In seinen Werken sind oft der Mond, der Wein und die Natur Thema, aber auch oft romantische Motive, wie die Sehnsucht und die Liebe zu schönen Frauen.

Gedichtbeispiel „Unaufhörlich denke ich Deiner“ von Li Tai Po:

 
Buch III. (16.)
Unaufhörlich denke ich Deiner

Unaufhörlich denke ich Deiner,

Die Du in Ch'ang-an bist.

Das Heimchen weint im Herbste

auf der glänzenden Brunnenbalustrade.

Leichter Reif macht mich frösteln

und die Matte erscheint kalt.

Die vereinzelte Lampe gibt kein helles Licht

und ich glaube, sie will ausgehen.

Ich rolle den Vorhang auf, blicke gegen den Mond

und bleibe tief aufseufzen.

Das Mädchen, das so schön ist wie eine Blume,

befindet sich jenseits jener Wolkenenden.

Oben spannt sich der hohe Himmel

mit seinem dunklen Firmament,

Unten rauschen die Wellen des kleines Flusses.

Der Himmel ist unendlich, der Weg ist weit,

und die Seele klagt auf ihrer Wanderschaft.

Die Seele, die im Traume in die Ferne zieht,

kann wegen der Schwierigkeit der Grenzberge

nicht zur Geliebten gelangen.
Unaufhörlich denke ich Deiner,
Und diese Gedanken zerreißen
mein Innerstes.
 Li Tai Po (701-762)
übersetzt von Erwin von Zach (1872-1942), österreichischer Sinologe