Die Epoche des Realismus

Den Zeitraum zwischen 1848 und 1890 bezeichnet man als die Epoche des Realismus. In dieser Zeit galt es, die Wirklichkeit in der Literatur detailgetreu und objektiv wiederzugeben. Aber die Realität wurde natürlich nicht einfach nur beschrieben, sondern künstlerisch reflektiert. Dabei wird aber lediglich das Diesseits abgebildet, ohne eine Deutung in das Übernatürliche oder das Spirituelle.
Die Literatur behandelte die alltäglichen Probleme des Individuums und sein Leben in der Gesellschaft. Gerne wurde die Wirklichkeit auf humorvolle und ironische Art beschrieben, aber viele Dichter wählten auch eine pessimistische Ausdrucksweise, um die Probleme, die den Menschen umgaben, wiederzugeben.
Des Weiteren befassten sich die Autoren gerne mit ihrer Heimat und zeigten das Leben, die Landschaft und die Menschen dort in sogenannten Dorfgeschichten. Ebenso waren historische Ereignisse ein beliebtes Thema im Realismus. Ein Merkmal der Geschichten war, dass das Individuum immer im Konflikt mit der Gesellschaft steht.
Im Realismus hatte die Novelle ihre Hochzeit. Viele Autoren bevorzugten diese Art der Erzählung und so entstanden ganze Novellenzyklen.
 

Das Dinggedicht des Realismus
In einem Dinggedicht betrachtet der Dichter ein Ding objektiv und distanziert und lässt dabei Unwesentliches bei seiner Beschreibung weg. Wichtig dabei ist, dass kein lyrisches Ich sich äußert, sondern der Gegenstand plastisch und distanziert beschrieben wird. Häufig werden Kunstgegenstände dafür hergenommen, und der Dichter lässt ihn durch seine Betrachtung neu erscheinen.
Zum Beispiel „Der römische Brunnen“ von Conrad Ferdinand Meyer:

Der römische Brunnen

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt

Er voll der Marmorschale Rund,

Die, sich verschleiernd, überfließt

In einer zweiten Schale Grund;

Die zweite gibt, sie wird zu reich,

Der dritten wallend ihre Flut,

Und jede nimmt und gibt zugleich

Und strömt und ruht.

Ein weiteres Beispiel, das erst später entstanden ist, ist „Der Panther“ von Rainer Maria Rilke:

Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –

und hört im Herzen auf zu sein. 

Rilke beschreibt nicht nur das Äußere des Tieres, sondern schließt daraus auf dessen inneren Zustand. Hier können nun auch zwei Interpretationspunkte angesetzt werden:
1. Der Panther, einst ein kraftvolles Tier, verkommt in seiner Gefangenschaft immer mehr zum Ding.
2. Der Panther wird leider von seiner Umgebung mehr als Ding bzw. als Ausstellungsstück wahrgenommen, als ein Lebewesen.

Probieren Sie es! Suchen Sie sich einen Gegenstand aus, entweder einen ganz alltäglichen oder etwas ganz besonderes, und schreiben Sie ein Dinggedicht.