Lyrik im Mittelalter - Im Gesang zum Reim
Das Mittelalter: Im Gesang zum Reim
Die Inhalte frühester deutschsprachiger Dichtung waren notwendigerweise das Ringen um Tugenden, deren Kodex die gesellschaftliche Ordnung bewahren helfen sollte. Eine Ausnahmestellung im Kontext der christlich-religiös durchdrungenen Dichtung stellen die Merseburger Zaubersprüche (vor 750 entstanden) dar. Diese Sammlung ist die einzige erhaltene vorchristliche Dichtung.
Merseburger Zaubersprüche
Suma hapt heptidun, suma heri lezidun,
suma clubodun umbi cuoniouuidi:
insprinc haptbandun, inuar uigandun!
und (setzten sich) dorthin.
Einige fesselten (die Feinde), andere hemmten (das feindliche)
Heer,
wiederum andere lösten die Fesseln (des Freundes):
löse dich aus den Fesseln, entflieh den Feinden!
Zu den wichtigsten Werken des 9. Jahrhunderts gehörte das »Hildebrandslied« (um 830/840), eine Sammlung von Heldenliedern. Das Werk »Heliand« (um 850) war eine Heilsgeschichte, in der zu Missionszwecken das »Leben Jesu« wiedergegeben wurde. Schließlich zählt noch das »Wessobrunner Gebet« zu den überlieferten Werken. Diese Gebetsammlung entstand um 770/780.
Wessobrunner Gebet
De poeta
Dat gafregin ih mit firahim firiuuizzo meista,
Dat ero ni uuas noh ufhimil,
noh paum, noh pereg ni uuas,
ni sterro noheinig, noh sunna ni scein,
noh mano ni liutha, noh der mareo seo.
Do dar niuuiht ni uuas enteo ni uuenteo,
enti do uuas der eino almahtico cot,
manno miltisto, enti dar uuarun auh manake mit inan
cootlihhe geista, enti cot heilac.
Cot almahtico, du himil enti erda gauuorahtos
enti du mannun so manac coot forgapi:
forgip mir in dina ganada rehta galaupa
enti cotan uuilleon, uuistóm enti spahida enti craft,
tiuflun za uuidarstantanne enti arc za piuuisanne
enti dinan uuilleon za gauurchanne.
daß es die Erde nicht gab und nicht den Himmel,
es gab nicht den Baum und auch nicht den Berg,
es schien nicht ein einziger Stern, nicht die Sonne,
es leuchtete weder der Mond noch die glänzende See.
Als es da also nichts gab, was man als Anfang oder als Ende
hätte verstehen können,
gab es schon lange den einen allmächtigen Gott,
den reichsten an Gnade. Bei ihm waren auch viele
Geister voll Herrlichkeit, früher (als sie aber war) der heilige Gott.
Allmächtiger Gott, du hast Himmel und Erde erschaffen
und den Menschen so manches Gut verliehen:
verleihe mir rechten Glauben an deine Gnade
und guten Willen, Weisheit, Klugheit und Kraft,
den Teufeln zu widerstehen und das Böse zu meiden
und deinen Willen zu tun.
thu bist hárto filu suár, thaz ságen ih thir in álawar!
Mit árabeitin wérbent, thie héiminges thárbent;
ih haben iz fúntan in mír; ni fand ich líbes wiht in thír;
Ni fand in thír ih ander gúat, suntar rózagaz muat,
séragaz herza joh mánagfalta smérza!
Ob uns in múat gigange, thaz unsih héim lange,
zi thémo lante in gáhe ouh jámar gifáhe:
Farames, so thíe ginoza, ouh ándara straza,
then wég, ther unsih wénte zí éiginemo lánte.
Ach, Fremdland! sehr bist du hart;
du bist gar sehr schwer, das sage ich dir fürwahr,
In Mühsalen leben, die der Heimat entbehren,
ich habe es an mir erfahren; ich fand nichts Liebes an dir.
Ich fand in dir kein anderes Gut außer traurigen Sinn,
schmerzerfülltes Herz und mannigfaltigen Schmerz.
Wenn uns in den Sinn kommt, daß uns heim verlangt
nach dem Lande plötzlich auch Sehnsucht uns ergreift,
Fahren wir, wie die Genossen, auch eine andere Straße,
den Weg, der uns wende zu dem eigenen Lande.
Neben den großen Sagendichtungen entstand in der 2. Hälfte des 12.Jahrhunderts eine überaus bedeutende Form der Lyrik, nämlich der »Minnesang«. Die Entstehung der Minne-Lyrik ist ein Hinweis auf die sich umgestaltenden Verhältnisse innerhalb der feudalen Gesellschaften. Die Kreuzzüge des 12. Jahrhunderts waren grenzen- und sprachenüberschreitende
Unternehmungen. Bedeutende Machtzentren entstanden, in denen Adelige in einen Wettbewerb zur Sicherung ihrer Ansprüche traten. Die Beziehungen der Menschen wurden komplexer und komplizierter. Selbsterfahrungen und Selbstreflexionen wurden Thema von Kunst und eine Sensibilisierung für emotionale und ästhetische Werte verlieh der Gesellschaft ein neues Antlitz. Hinzu kam, dass der Einfluss der Kirche infolge des verheerenden Scheiterns der Kreuz züge und infolge des so genannten »Investiturstreites« schwand. So verlagerten sich die Themen der Lyrik von geistlichen hin zu weltlichen. Es gab eine nicht unbeträchtliche Zahl von Dichtern,
deren Minnesang bis heute überliefert ist. Es sollen nur einige wenige angeführt werden: Friedrich von Hausen (um 1150–1190), Albrecht von Johannsdorf (2. Hälfte des 12. bis Anfang des 13.Jh.s), Heinrich von Morungen (2. Hälfte des 12. bis Anfang des 13.Jh.s) und Reinmar der Alte (2. Hälfte des 12. Jh.
bis Anfang des 13. Jh.s). Diese Namen sollen als Anregung dienen,
in einer Literaturgeschichte nachzulesen. Der wichtigste Vertreter
des Minnesangs ist unbestritten Walther von der Vogelweide
(um 1170 bis um 1230).
Die bekanntesten Gedichte von Walther von der Vogelweide finden Sie hier.
1.) Kreuzen Sie bitte an, in welchem literarischen Werk der Endreim erstmals zur Anwendung kam, und wer war sein Verfasser?
a) Wessobrunner Gebet von einem unbekannten Dichter
b) Parzival von Wolfram von Eschenbach
c) Die Evangelienharmonie von Otfried von Weißenburg
2.) Was war hauptsächlich der Inhalt von Minnesang?
3. Nennen Sie den bedeutendsten Vertreter des Minnesangs. Was war sein besonderes Verdienst?