Franz Werfel "Im Haus der Kindheit"

Im Haus der Kindheit
Ich trete in den Flur
Scheu von der Straße ein.
Wie waldige Natur
Umfängt mich Finstersein.
Ein wenig bangt mir,
Als sei es fast verrucht,
Dass man im Kind-Quartier
Sich mit sich selbst besucht.
Einst war so groß das Haus,
So turmhaft hoch gebaut.
Jetzt fülle ich es aus.
Mein Schritt tappt viel zu laut.
Mit mattem Scheibenblick
Das Licht noch immer krankt,
Wo sich der Mosaik
Verschlungnes „Salve“ rankt.
Beim Stufensteigen hemmt
Den Schuh geheimer Leim.
So eigen ist mir fremd,
So eigen mir daheim.
Ein Geist nicht anders streicht
Ums ärmliche Gelass,
Weil er von sich vielleicht
Den Nachgeschmack vergaß.
Ich steige steif und scheu
Von Stock zu Stock hinan.
An Türen alt und neu
Führt mich vorbei der Bann.
Hier wohnt der Arzt nicht mehr,
Ich kenn den Klingelknopf.
Auch tickt vom Hof nicht her
Des Goldschmieds Feingeklopf.
Voll fremder Jahreszeit
Und unbekanntem Lärm
Sich Wohn- an Wohnung reiht,
Es riecht nach Milch und Germ.
Mich aber zieht’s empor
Zum hohen Bodenraum,
Den hundertmal beschwor
Ein treugebliebner Traum.
Liegt nicht im morschen Loch,
Verpickt von Staub und Pech,
Die Viertelgeige noch,
Mein Dampferchen aus Blech?
Das alte Kindergut,
Es ruft und lockt mich so.
Wie ist mir denn zu Mut?
Wo bin ich? Bin ich wo?
Noch nie war mir so dumm.
Mich hält ein Schwindel fest.
Und wie von Wind gepresst,
Kehr ich verwunschen um.
In frischer Straßenluft
Renn ich ein gutes Stück.
Das Kind in seiner Gruft
Bleibt steif und scheu zurück.
Franz Werfel
(1890-1945)