Paul-Henri Campbell

nach den narkosen. Wunderhorn, Heidelberg 2017, 96 Seiten, 18.80 Euro, ISBN: 978-3884235560

Klappentext:

Das Schreiben des Gebissenen ist eine Revolte gegen die Endlichkeit.
Insuffizienz: Die Gedichte von Paul-Henri Campbell sind der Erfahrung eines defekten Körpers gewidmet. Der Mensch, der heute mit einer chronischen körperlichen Anfechtung zu ringen hat, ist ein permanenter oder zumindest periodischer Gast der Klinik. Er verbindet sich mit Maschinen, die sein irritiertes inneres Regen messen, verbindet sich mit geregelten Abläufen ärztlicher Behandlung, und ist deren Herausforderung. Schreibend sich darin zu behaupten, gegen die Frist des instabilen Seins, ist ein Aufruhr von nackter Diesseitigkeit. Der Defekt und die Apparate und Verfahren seiner Beschwichtigung werden Teil der Selbstverständigung. Sie zu beschreiben, zu benennen, ihrem Rumoren einen Vers abzugewinnen, ist das Bemühen, mit dem eigenen Ausdruck im Leben zu sein. Am Puls der Zeit statt am Piepen der Herzrhythmuskontrolle – beide Takte sind im Gedicht verstrickt, um die Narkose zu verlassen. Neben den Gedicht-Zyklen »nach den narkosen«, »plasma« und »medtronic KAPPA KSR 901«, die sich dem klinischen Dasein widmen, enthält der Band außerdem den Zyklus »gärten ohne menschen«, der durch die Institution der Grünanlage wandelt, diesem bürokratischen Reflex auf halbe Sehnsüchte nach Natur. Den Zyklus »martin heidegger schaltet das radio ein« treibt die Frage um nach der prometheischen Scham, ihrem Fehlen, in der Verwicklung von Technik und Philosophie. »digitales dharma, diptychen« versammelt Gedicht-Spaltungen zum Thema Sichtbarkeit und Unverfügbarkeit im Netz.

Eine Empfehlung der Schriftstellerin Uljana Wolf:

Netflix hat Narcos, aber die Lyrik hat die neonarkotische Rebellion von Paul-Henri Campbell. Der Lyriker und Übersetzer, der 1982 in Boston mit einem Herzfehler geboren wurde, entwickelt insbesondere in dem titelgebenden Zyklus und dem als Nachwort fungierenden Essay eine Poetik der Insuffizienz.

Er umkreist den verstörend liquiden Seinszustand eines Menschen, dessen Körper wieder und wieder in den Herrschaftsbereich von pumpenden, schmatzenden, uns schließlich aufzeichnenden Maschinen gerät: »wielos so sie naht ist nachtnaht / so ist sie spur des skalpells / körper im traum loswie schweben schlaf«. Mit Wiederholungen, Skips und mehrsprachigen Sprüngen intonieren die Gedichte jenes »loswie« im Wortkörper und kritisieren zugleich die »reinheitsphantasy« einer an gesunden, ungebrochenen, nationalen Subjekten orientierten Sprachnorm. Einzuwenden bliebe vielleicht, dass es sich stellenweise betörend schön liest – als setzte das Aufbegehren gegen die Erfahrung »randomisierter« Endlichkeit noch einen verborgenen Überschuss von Präzision und Eleganz frei, der selbst narkotisierend wirkt.

Auszeichnungen:

Bayerischer Kunstförderpreis 2017

Pressestimmen:

»Paul-Henri Campbells hellsichtiger Existenzgesang demonstriert eindrucksvoll, dass uns die Tröstungen der Theologie aus der Heilllosigkeit nicht mehr befreien können.« Michael Braun, Die Rheinpfalz

»Gedichte von verstörender Schönheit als Reflexion über das Memento mori.« Guy Helminger, Livres, Tageblatt

Über den Autor:


Copyright: Katharina Kreye

Paul-Henri Campbell wurde 1982 in Boston (USA) geboren und schreibt Lyrik sowie Prosa in englischer und deutscher Sprache. Studium der katholischen Theologie und der klassischen Philologie in Frankfurt am Main sowie an der National University of Ireland, Maynooth, derzeit Promotion. Campbell ist Übersetzer und Managing Editor der internationalen Ausgabe der Lyrikzeitschrift »DAS GEDICHT: DAS GEDICHT chapbook. German Poetry Now«. Er rezensiert regelmäßig für dasgedichtblog.de. Zuletzt von ihm erschienen: »Space Race« (lyrikedition München 2015) sowie »Am Ende der Zeilen. | At the End of Days. Gedichte:Poetry« (fhl Verlag Leipzig 2013).